Mann müßte nogmals 16 sein
In Herbst 1967 kam Leben in die Bude der Jungs: Kreidler hatte 'was Neues.
Florett RS: Der Renner von Kreidler
Bron: Motorrad Classic 6/1996 November/Dezember
Tekst: Frank-Albert Illg
Foto's: Ulrich Schwab
Scan: Nick Volten
met dank aan Tjerry
Die Beatles verkündeten „All you need is love" und die Rolling Stones forderten auf: „Let's spend the night together". NSU stellte den revolutionären Ro 80 vor und der Illg radelte auf seinem nagelneuen Fahrrad mit Sachs-Dreigang-Schaltung jeden Tag brav ins Gymnasium. Jeden Morgen ein schneller, flüchtiger Blick über die Fahrradständer, wo mittendrin auch die Mopeds der Jungs aus der Mittel- und Oberstufe parkten. Und eines Tages funkelte und glitzerte da etwas unbekanntes Neues, dazu noch knallrot lackiert.
Tatsächlich, eine Kreidler, und nicht mehr mit dem bis dato typischen, voll gekapselten Motor mit Zwangsluftkühlung. „Florett RS" hieß ab sofort der Traum all derer, die noch eine Weile bis zum Kleinkraftrad-Alter warten mußten, freilich jedoch schon hoffnungslos infiziert waren.
Anno 1967 war das Florett immerhin schon zehn Jahre alt. Doch mit ständiger Modellpflege, technisch wie optisch, hatte es Kreidler attraktiv gehalten. Spätestens mit Beginn der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aber mußte sich das Unternehmen im Stuttgarter Vorort Zuffenhausen etwas einfallen lassen. Denn im Gegensatz zur Kundschaft früherer Jahre meist Männer mit dem Wunsch nach einem wirtschaftlichen und zuverlässigen
Foto: So ein 1968er Florett RS is heute eine Rarität. Besondere Kennzeichen sind die Verrippung an Zylinder und Deckel und die kleine Bremse im Hinterrad mit 166 mm Trommel-Durchmesser
Foto: Mit dem RS kam der „um 360 Grad drehbare" Sportlenker mit neuen Hebeleien und Schaltern, ein neuer Lampenhalter und ein Tachometer mit 120 km/h-Skala im Lampentopf. Kettenkasten, zweiteilige Gabel-brücken-Abdeckung und die Lenkkopf-hutze (mit Schnarre) waren zwar rote Kunststoffteile - aber nicht immer auch „vulkanrot"
Transportmittel für den täglichen Weg zur Arbeit und wieder nach Hause, waren es jetzt die 16-und 17 jährigen aus den Geburtenstarken Jahrgängen der fünfziger Jahre, die mit noch druckfrischem Führerschein Klasse IV in der Tasche ein Kleinkraftrad haben mußten. Für die konnte eine Fünfziger nicht Motorradmäßig genug aussehen. Daß die Zwangsluftkühlung von Zylinder und Deckel durch Gebläserad durchaus Vorteile hatte, mag kaum noch einen überzeugt haben. Nein: ein Motorrad-Motor mußte seine Kühlrippen offen zeigen, und das Drumherum hatte schnittig-sportlich auszusehen. Geschobene Schwinge vorn? Motorräder hatten ranke Teleskopgabeln zu haben; und auch seitlich weit heruntergezogene, voluminöse Schutzbleche. waren am jugendlichen Rennerle völlig daneben.
Das Florett GT, Ende 1966 als 1967er Modell und als Florett Super- und Florett Super TS-Nachfolger erschienen, war wenigstens ein kleiner Schritt in die künftig richtige Richtung, auch wenn der 5,3 PS starke Fünfgangmotor immer noch zwangsluftgekühlt war und die Kreidler-Werbung zu rechtfertigen versuchte: „ ... durch Gebläse absolut vollgasfest". Als ob die direkt vom Fahrtwind angeströmten Sachs- und Zündapp-Motoren nicht auch gnadenloses Hetzen verkraftet hätten. Vor allem Zündapp hatte mit der KS 50 Sport auf der IFMA 1966 ein Kleinkraftrad vorgestellt, das mit vergleichsweise riesigen Trommelbremsen (150 mm Trommeldurchmesser), einer respektablen Teleskopgabel, großem Scheinwerfer und dazu noch mit sauberen, gestreckten Linien von vorn bis hinten ein „Motorrad"-Traum von einem Kleinkraftrad war. Und dazu natürlich ein neuer Motor mit engstehenden, breiten Kühlrippen am leicht in Fahrtrichtung geneigten
Zylinder und obendrauf der Deckel mit flacherfurmiger Verrippung
Wäre da also nicht die Konkurrenz das hierarchisch geführte Familieunternehmen Kreidler wohl kaum Grund gehabt, etwas anderes auszutüfteln. Auch wenn für den neuen RS-Motor nun notgedrungen auf Gebläserad und Luftleitbleche verzichtet werden mußte, so fuhr Kreidler trotzdem noch zweigleisig: dem Florett TM und den Mokick-Versionen blieb die Zwangsluftkühlung nämlich noch einige Zeit erhalten.
Als Basis für das RS sollte das Florett GT dienen, von dem Blechpreßrahmen samt Hinterradschwinge und der Kreidler-typischen Teleskopgabel mit nur einer (unteren) Gabelbrücke übernommen wurden. Neue Seitenverkleidungsbleche mußten freilich geformt und herausge-
Foto: Explosionszeichnung des RS-Motors, erste Ausführung und bis auf Zylinder und Deckel auf dem Florett GT-Motor aufgebaut. Neu waren der Generator und die jetzt extern angeordnete Zündspule
stanzt werden. Auf das Loch (samt Gitter) im linken Blech für die Luftzufuhr zum Gebläserad konnte jetzt verzichtet werden, und weil die Kühlrippen an RS-Zylinder samt Zylinderdeckel ja auch von der Seite zu sehen sein sollten, wurden die Verkleidungsbleche entsprechend gestutzt_ Die hochglanzpolierte Hutze über Zylinder und Deckel war ohnehin überflüssig, und die Lücke zwischen den Seitenverkleidungen, vorn am Rahmen und oberhalb des Zylinders, kaschierte ein kleines glanzverchromtes „Grillblech".
Mit dem neuen Florett kam eine fast schon vergessene Kreidler-Farbe zurück: vulkanrot. In den Jahren zuvor hatte die Kombination anthrazit/beige überhand genommen, dazu auch noch Weißwandreifen. Die RS war rot, und es sollte sie - vorläufig wenigstens - nur in rot geben. Schwarz waren nur Sitzbankbezug und Reifen und je ein Kniekissen rechts und links an diesem einmaligen Kraftstoffbehälter, einem Schmuckstück von Tank. Seine Hochglanz-Chromschicht war schlichtweg perfekt, von einer Güte,
die — hätte es bei uns damals schon zu sprießen begonnen — problemlos auch als Rasierspiegel zu nutzen gewesen wäre.
Dann war da noch das Abziehbild auf dem Tankrücken. „Kreidler —Schnellstes 50 cm3-Motorrad der Welt —210 km/h" war in goldfarbener Schrift gedruckt, der Hinweis auf die erfolgreichen Rekordfahrten des Hauses auf dem ausgetrockneten Salzsee bei Bonneville im US-Bundesstaat Utah. Daß der Weltrekord (gemessen über einen Kilometer und mit fliegendem Start) zu jenem Zeitpunkt auch schon wieder zwei Jahre alt war und das Rekordfahrzeug samt Motor fast nichts mit dem Florett RS gemeinsam hatte, spielte nun überhaupt keine Rolle.
Im Prinzip entsprach der RS-Motor jenem des Fünfgang-Florett GT. Kanalführung und -Querschnitte mitsamt Brennraumform und darin leicht von oben her schräg außer der Mitte sitzenden Elektroden wurden beibehalten. Zylinder und Deckel lieferte wie eh und je schon der Stuttgarter Spezialist Mahle. Die für Fünfziger-Motorenteile damals
Foto: Oben ein Zylinderdeckel des 1968er RS-Motors mit 13 senkrechten Kühlrippen oben, und entsprechend auch 13 Rippen am Zylinder. Die 1969er Modelle hatten bereits 15 Rippen. Darunter der Blick in den Zylinder mit perforierter Hartchrom-Laufbahn. Gut erhaltene 1968er Zylinder samt Deckel sind fast schon mit Gold aufzuwiegen
Foto: Werbeaufnahme am Glemseck 'im Hintergrund die Start/Ziel-Gerade der ehemaligen Solitude-Renn-strecke) mit Florett GT und Rudolf Kunz auf dem neuen RS, noch mit Chromhülsen über den Federn der Federbeine
schon respektablen Kühlrippen waren sorgfältig durch bereits im Guß berücksichtigte Stege gegeneinander abgestützt, um hochfrequentes Rippenschwirren zu unterdrücken. Mehr Geräusche als die wegen der Zwangsluftkühlung voll gekapselten und deshalb vergleichsweise leisen Florett-Motoren (dafür pfiff das Gebläserad bei hohen Drehzahlen deutlich hörbar) konnte und wollte sich Kreidler mit dem RS-Motor auch nicht erlauben.
Die Kolbenlaufbahn im Zylinder wurde von Mahle Hartchrombe-schichtet und oben, im heißen Bereich, zusätzlich noch perforiert (Fachausdruck: Randrierung). Die im angesaugten und vom aufwärts laufenden Kolben allmählich zur Verbrennung verdichteten Gemisch enthaltenen Ölpartikel sollten sich, so zumindest die Theorie dahinter, dabei in den feinen Poren festsetzen und mehr Sicherheit gegen Klemmer des noch mit zwei dicken Rechteck-Ringen bestückten
Kolbens geben. Zur Erinnerung: Nikasil war noch längst nicht Großserien-reif. Ansaugstutzen, Vergaser mit 18 mm Saugrohrdurchmesser und der mit Draht-schelle angeklemmte, zylindrische Kunststoff-Ansaugkasten (mit Siebfilter) entsprachen ebenfalls Florett GT-Teilen. Der Schalldämpfer (Boysen-System) mit dem hinten leicht konischen, abnehmbaren Endstück war dagegen RS-typisch wie auch die Federbeine mit offenliegenden, verchromten Schraubenfedern. Dabei muß die Entscheidung für die neuen Federbeine wohl erst in letzter Minute getroffen worden sein. Denn auf ursprünglich geschossenen Studio-fotos und den Werbemotiven waren an der neuen RS noch die von der Florett GT her bekannten, gekapselten Federbeine zu sehen.
An den Serienmotoren Leistung zu machen ohne Standfestigkeit zu riskieren schien im Hause Kreidler angesichts der Erfahrungen aus zunächst der Motocup- und ab 1962 dann der Weltmeisterschafts-Rennzeit kein Problem. Ein kleines Quentchen wurde ohnehin schon durch den Verzicht auf das Gebläse-rad gewonnen — nicht unbedingt beim Maximalwert, sondern schon ab etwa halber Nennleistungsdrehzahl. 5,3 PS bei 7600/min versprach Kreidler für das Florett RS, soviel wie für das Florett GT (das mit Erscheinen der RS dann als TM, für Touren-Modell, weiterlaufen sollte) und damals der Standardwert für diese Hubraumklasse. Doch für die Jugendlichen war diese Zahl damals schlichtweg Spitze, denn bis zu diesem Zeitpunkt, also Herbst 1967, hatte die Höchstleistung der schnellen Fünfziger seit Beginn der sechziger Jahre beträchtlich zugenommen. Bitte jetzt nicht lachen. Keine fünf Jahre zuvor waren es nämlich noch nicht einmal vier PS, und selbst Steigerungen um Zehntel-PS waren für uns Jungs damals so beeindruckend wie einst das Aha-Erlebnis: von Papa, als der von der knapp neun PS-Lux auf die fast doppelt so starke NSU Max umstieg. Die Kreidler-Werbung für das Florett RS tat ein Übriges, auf daß auch jedes Zehntel-PS und die letzten paar 100/min voll genutzt werde. Rudolf Kunz, der Kerl, der als Kreidler-Angestellter (und Straßenrennfahrer) den absoluten Geschwindigkeitsrekord für 50 cm3-Fahrzeuge gefahren hatte, zeigte in ganzseitigen (heute wahrscheinlich als Jugend-gefährdend eingestuften) Anzeigen, wie die neue Florett RS gefälligst gefahren werden will. „Mit ... Sachen in die Kurve! Voll aufgedreht auf der Geraden! — Das macht Spaß", war da zu lesen. Von einer Rakete war die Rede, voll technischer Raffinessen. „Weil sie nach dem Vorbild der berühmten Renn-FLORETT entwickelt wurde und heute so gebaut wird". Das Renn-Florett sagte den anno 1967 damals 16- oder 17-jährigen freilich nichts mehr, sie hatten es allenfalls noch als vom Vater zu den Rennen mitgeschleppte Kinder in Erinnerungen. Viel stärker eingeprägt hatte sich dagegen das Florett vorn älteren Bruder, Neffe oder Onkel, auf dem gelegentlich mal ein paar Kilometer auf dem Soziussitz drin waren.
Auch wenn wir uns damals keinen so schmucken schwarzen Leder-Renn-Einteiler leisten konnten, weil die Summe für ein neues Florett RS gerade noch so zusammengekratzt wurde (Danke Oma, danke), so fuhren wir in aufgeblähter Windjacke (falls es nicht doch noch wenigstens eine Lederjacke gereicht hatte) und mit flatternden Hosenbeinen zumin-
Foto: Schwarz/weiß-Studioaufnahmen vom endgültigen Serien-RS. Die unter den Schalldämpfer geschobenen Holzklötze wurden auf der Druckvorlage dann weg-retuschiert. Unten die im April 1968 in Das MOTORRAD veröffentlichte Anzeige mit Kunz auf dem Vorserien-Florett. Wer sich in einer 75 cm niedrigen und 52 cm schmalen Weltrekord-Kreidler zusammenfalten kann, hat auf einer RS keine Haltungsprobleme
„Wo Sie auch wohnen, alle Original Kreidler-Ersatzteile und Florett-Sonder-Zubehör erhalten Sie jetzt zu vorteilhaften Preis direkt von unserer Kreidler-Spezial-Abteilung” (Auszug aus dem Difi-Katalog, der „Bibel" für Florett-Fahrer)
Foto: Ab April 1968 gab es diesen Rennsatz für RS-Motoren. Diejenigen, die ihn sich „hintenrum" besorgen wollten, warnte Klacks: „Mit dem Rennauspuff kommt ihr keine 500 Meter weit — sooo laut ist der"
dest in einer Haltung, die der von Rudolf Kunz auf dem RS mindestens ebenbürtig war. Freilich war das nur solo möglich, weil wegen der Arsch-nach-hinten-und-Kinn-auf-den-Tank-Haltung die ganze Sitzbanklänge genutzt werden mußte. Aber beim Dorfrennen waren wir Jungs ohnehin unter uns.
Ja, wie schnell war denn eine RS nun wirklich? Ernst Leverkus scheute sich nicht, es auf dem Nürburgring herauszufinden. Die Zeitschrift „Das MOTORRAD" hatte zum Termin im Sommer 1968 ein bereits geringfügig überarbeitetes Florett RS erhalten, das Kreidler zur IFMA im Herbst als 1969er Modell präsentierte. Und als Referenzfahrer war Rudolf Kunz angereist, mit dem das Florett RS natürlich weniger Mühe hatte als mit dem etwas schwereren und längeren Kerl „Klacks" obendrauf.
Nach knapp einem halben Kilometer soll die Kreidler bereits 85 km/h schnell gewesen sein und auf der Gegengeraden, bevor es dann über die Linkskurve und Kuppe zum Hatzenbach hinunterging, sollen es sogar fast 90 km/h gewesen sein. In 16 Minuten und 32 Sekunden schaffte der Rennfahrer Rudolf Kunz die exakt 22,3 km lange Meßstrecke, was 80,9 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit entsprach. Hoppla, das können doch wirklich nicht nur 5,3 PS gewesen sein. Oder sollte das Test-Florett bereits kräftig nach oben gestreut haben? Wenige Monate später sollten nämlich 5,8 PS ohnehin neuer Klassenstandard werden. Kunz und Klacks hätten sich die Meß-Mühen mit dem Test-Florett gar nicht machen müssen. Jedes andere RS war sowieso schneller, viel schneller. Was zählte, war die Anzeige auf dem kleinen, oben im Scheinwerfertopf eingesetzten VD0- Tachometer. Dessen Skala reichte bis 120 km/h. Und wo mit langliegendem Fahrer, mit Rückenwind und den Buckel runter, dann die weiße Tachonadel schießlich am wenigsten pendelte, das war die Höchst-geschwindigkeit.
Voreilung? Von wegen, jeder RS-Fahrer versicherte, sein Tachometer sei genau, die Tachonadel würde nicht einmal zucken und schließlich wären die „echten 100 km/h", und selbstverständlich auf dem topfebenen Stück von Dingsda nach Bumsdort gefahren, dazu noch unabhängig von Hand gestoppt worden. Der Verbrauch? Das war damals sekundär. Eine Füllung (12,5 Liter) reichte tagelang, oft für die ganze Woche. Und genügend Geld, um wieder 1:25 aufzufüllen, war immer da. Wer sich für 1397 Mark (inklusive der 1968 eingeführten Mehrwert-steuer von damals noch zehn Prozent) ein RS geleistet hatte, hätte sich ohnehin nie als armer Schlucker geoutet.
Für das Florett RS hatte Kreidler einen Rennsatz entwickelt: Zylinder, Kolben, Zylinderdeckel, Dell'Orto-Rennvergaser (25 SSD) mit separater Schwimmerkammer, Ansaugstutzen, Rennauspuff, Ritzel und Kleinteile wie Dichtungen und Seilzüge. 9,5 PS sollten sich damit entfesseln lassen, wobei Tüftler schnell noch einmal ein oder zwei PS mehr fanden. Für den Kampf um die Straßenweltmeisterschaft war das freilich immer noch nicht genug (da mußte es schon Drehschieber-Einlaßsteuerung und Flüssigkeitskühlung sein), aber für die Rennen um den Juniorenpokal war ein mit diesem Teilen aufgepeppter RS-Motor eine gute Basis.
Wieviele der damals 16- und 17 jährigen wären wohl bereit gewesen, den Erlös des Ferienjobs zu opfern, dazu noch früh morgens Zeitungen auszutragen und samstags Autos zu waschen, bis die 300 Mark für diesen Florett-Rennsatz beisammen gewesen wären? Doch Kreidler schob einen Riegel vor und lieferte ihn nur an Inhaber einer von der OMK ausgestellten Rennlizenz. Nun mag der eine oder andere vielleicht einen guten Freund als Inhaber einer solchen Lizenz gehabt haben, der zu dieser Rarität verhalf. Die breite Masse der RS-Besitzer mußte meistens schon mangels genügend Geld auf den Traum verzichten, das schnellste alle schnellen Florett zu fahren und tröstete sich damit, daß mit dem ungedämpften Rennauspuff das Vergnügen ohnehin von kurzer Dauer wäre.
Doch das Kreidler-Volk wußte sich zu helfen. Ein Wort aus vier Buchstaben war unter Insidern der Schlüssel zum RS-Tuning: Difi. Hoch oben im Norden von Deutschland, in der Osterholzstraße zu Varel (Betonung auf der ersten Silbe), war ein gewisser Dierk Filmer (daher also Difi) mit seinem Versandhandel die richtige Quelle. Weil Kreidler für ihn und seine Kunden weit weg im fernen Süden der Republik zuhause war, aber auch in Friesland Florett gefahren und dabei das eine oder andere Ersatzteil fällig wurde, baute er sein Geschäft darauf auf. Dabei halfen ihm die Adressen von Kreidler-Besitzern, die Filmer vom Hersteller erhielt. In seinem jährlichen Katalog im Format DIN A5 war also nicht nur alles erdenkliche Mopedzubehör aufgelistet, sondern auch
Florett-Ersatzteile inklusive Preisen. Und dazu auch Hinweise, was für welchen Motor bestimmt war und was an welchem Florett alles umgebaut werden konnte. Kein Zweifel, so ein Difi-Katalog war die (Tuning) Bibel für Florett-Fahrer.
Seine 1967er Ausgabe hatte Dierk Filmer längst fertig, als er vom neuen Florett RS erfuhr. Und in aller Eile druckte er eine 1967/68-Ausgabe nach, worin die entsprechenden Informationen zur neuesten Kreidler nicht fehlten. Dazu gab es wieder Tabellen mit Ersatzteilen samt Preisen, die Kosten für komplette Austausch- oder gar Neumotoren (560 Mark für die RS) und natürlich auch wieder Hinweise, mit welchen Teilen denn nun die bisherigen Florett-Modelle auf aktuellen RS-Stand geschliffen werden konnten und wie teuer das alles werden würde. Einen Florett GT-Motor beispielsweise auf RS umzurüsten würde exakt 227,45 Mark kosten, inklusive der RS-eigenen Seitenverkleidungsbleche, dem kleinen Chrom-Gitter und der RS-typischer. Auspuffendkappe 257,70 Mark. Doch halt, da fehlte noch etwas: Richtig, der RS-Sportlenker samt komplettem Scheinwerfer und dem Tachometer mit 120 km/h-Endwert. Für alles zusammen, inklusive Hebelei, Gasdrehgriff, Seilzüge, Schrauben etc. verlangte Difi 144 Mark. Keine Frage: Kreidler-Fahrer konnten bei Difi ein kleines Vermögen loswerden. Filmer hatte auch etwas im Programm, mit dem ein RS (vielleicht) zwar nur ein paar km/h mehr Höchstgeschwindigkeit rannte, doch gleichzeitig ungemein an Statuswert gewann. Dell' Orto-Vergaser waren damals die Zauber-Formel für Leistung, jedes sportliche und supersportliche Motorrad mußte sie haben und natürlich auch ein Florett RS. Edmund Bühler, den Filmer aus früheren Laverda-Zeiten kannte, importierte die Vergaser und versorgte auch Großabnehmer Filmer.
Mit 18 mm Saugrohrdurchmesser (gedacht für die 3,6 PS-Florett) kostete das noble italienische Präzisionsteil samt separater Schwimmerkammer und natürlich offenem, hochglanzpoliertem Ansaugtrichter 46 Mark, mit 19 mm Durchmesser 47,50 Mark. Passende Ansaugstutzen gab es für 10,80 Mark. Der Dell'Orto UB 20S (und nur der kam für den RS-Motor überhaupt in Frage) war mit 52,50 Mark der teuerste, dazu kamen noch 12,90 Mark für den Ansaugstutzen. Die Vergaser gingen weg wie warme Semmeln.
Hans-Georg Anscheidt zur Kreidler-Literatur
Ein Buch über das Kreidler Florett mußte zwangsläufig auch ein Buch über die Geschichte der Abteilung Fahrzeugbau des Unternehmens werden. Seit Frühjahr 1997 gibt es jetzt gleich zwei, zu jedem schrieb ich das Vorwort. Ansonsten aber sind es schon vom Format her zwei grundverschiedene Bücher: das eine ist etwas höher als breiter (klassisches Buchformat), beim anderen ist es umgekehrt. Das eine fühlt sich etwas schwerer an und ist vollgespickt mit Abbildungen. Das andere wiegt etwas weniger, wirkt auf den ersten flüchtigen Griff etwas dünner und hat viel weniger Illustrationen. Das eine kostet 84 Mark, das andere 39,80 Mark.
Das Werk von Frank-Albert IlIg hat das Florett als zentrales Thema. Im Kapitel „Der Weg zum Florett" werden die Anfänge bei Kreidler beschrieben, wie und unter welchen Voraussetzungen dort 1950 begonnen wurde. K50, K51, Junior J50 und J51 und der Roller R50 fehlen also nicht, alle sind abgebildet (sogar Prototypen), dazu zeitgenössische Prospekte. Die Florett-Geschichte selbst hat der Autor als Modellchronik aus einer ungeahnten Fülle von Fotos, Original-Werkszeichnungen und -Prospekten aufgebaut. Alle für den deutschen Markt gebauten Florett sind abgebildet, häufig auch noch in Farbe, Dazu eine Unmenge von Zeichnungen, Fotos von Details wie etwa Vergasern und Motoren-teilen, alles jahresmäßig entsprechend zugeordnet und zu allen Illustrationen gibt es ausführliche Bildtexte.
Andy Schwietzer hat sich dagegen mehr auf Lektüre verschrieben, zitiert mehr aus alten Zeitschriften und versucht auf diese Weise, Erinnerungen an den Kreidler-Fahrzeugbau und an ein Vierteljahrhundert Florett zu wecken. Außerdem widmet sich Schwietzer auch den Mofa von Kreidler, auf die IlIg (wohl weil sein Titel auch „Kreidler Florett" heißt) nicht eingeht.
Beide Autoren haben ausführlich die sportlichen Florett (Gelände wie Straße und die Weltrekord-Fahrzeuge) berücksichtigt. Illg beschreibt detailliert die Werks-Jahre, Schwietzer erzählt noch ein bißchen mehr über die van Veen-Ära. Wer sich für die Kreidler-Wettbewerbsfahrzeuge interessiert, der wird in Illgs Florett-Buch vor allem die vielen Fotos auch hierzu schätzen.
Langsam erklärt sich, warum „Kreidler Florett" von Frank-Albert Illg das Doppelte kosten muß: zum einen wegen Papierqualität und Ausstattung, vor allem aber wegen der insgesamt 401 Abbildungen (mit entsprechend hohen Repro- und daher auch hohen Druckkosten), davon sogar 135 in Farbe. Andy Schwietzer dagegen mußte sich bei „Motorräder, die Geschichte machten mit gut 100 schwarz/weiß-Illustrationen und kaum mehr als zehn Farbseiten begnügen.
Mindestens ein oder zwei Ritzel (Kettenräder waren leider etwas teurer) mit alternativen Zähnezahlen mußte jeder RS-Besitzer einfach in der Tasche haben. Weil „länger übersetzen", so der Glaube damals, auch „schneller" bedeutete. An der Auspuffanlage war kaum etwas zu machen. Fragwürdige Tips wie „Krümmer um soundsoviel Zentimeter kürzen und den Schalldämpfer entsprechend nach vorn verlegen" wurden hinter vorgehaltener Hand unter guten Freunden weitergegeben, wo und wie Löcher innendrin zu bohren waren, nachdem die Endkappe abgeschraubt worden war. Mit Lenkerstummel war nichts an dem RS, dazu fehlten ja die durchgehenden Standrohre zum festklemmen. Dafür gab es M-Lenker von Magura. Eine Vollverkleidung, aber ja, auch so etwas hatte der Difi-Katalog zu bieten, für 182 Mark und sogar wahlweise mit Sport- oder flacher Rennscheibe. Aber das Taschengeld reichte vorne und hinten nicht.
Abspecken war schon eher möglich und kostete keinen Pfennig: Einfach weg mit den Seitenverkleidungsblechen, schon wegen des schönen Dell'Orto-Vergasers und seiner Schwimmerkammer, und mit der Eisensäge Vorder- und Hinterradschutzblech (dabei gleich die Rückleuchte hochgesetzt) gekappt. Die Sekundärkette mußte unbedingt offen laufen, diese beiden roten Plastikteile waren einfach unmöglich. Richtige Motorräder hatten doch keinen Kettenkasten. Wenige RS blieben also lange im Original-zustand, noch weniger RS blieben auch lange heil, weil sich manch einer beim Versuch, Rudolf Kunz nachzueifern, natürlich auf die Fresse legte. Und ganz wenige 1968er RS blieben, in welchem Zustand auch immer, bis heute überhaupt übrig.
„Those were the days", sang sich Mary Hopkin damals an die Hitparaden-Spitze. Und Männer, heute so Mitte vierzig, werden sich an ihre RS-Zeit erinnern: "Mann, waren das noch Zeiten".
Jahrelang gab es überhaupt nichts zum Thema, jetzt gibt es gleich zwei Kreidler-Bücher, von Frank-Albert Illg (Kreidler Florett -Typen, Technik, Sport,Geschichte/ Text & Technik Verlag Leonberg) und von Andy Schwietzer (aus der Reihe Motorräder, die Geschichte machten/Motorbuch Verlag Stuttgart)
Kreidler Florett RS 1968 (1997)
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Re: Kreidler Florett RS 1968 (1997)
Mooi artikel Maarten, bedankt voor het posten.